Der Grüne Knopf: Kreisförmiger Wegbereiter oder Beihilfe zum Greenwashing?

Spätestens seit dem Einsturz von Rana Plaza im Jahr 2013 ist klar: Die Textilindustrie gehört aus sozialer und ökologischer Sicht zu den kritischsten Branchen der Welt. Dass es dort, wo man ein T-Shirt für drei Euro bekommt, hinsichtlich Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung mit rechten Dingen zugeht, ist schlichtweg nicht möglich. Und dennoch erfreuen sich nicht nur in Deutschland immer noch Millionen Menschen an dieser bizarren Preispolitik – um Textilien zu surreal anmutenden Preisen zu kaufen, die sie am Ende nur selten bis gar nicht tragen. Studien aus dem Jahr 2016 zufolge besitzen die Deutschen ca. 5,2 Milliarden Kleidungsstücke – nutzen tatsächlich aber nur die reichliche Hälfte davon (Quelle: Greenpeace).

Kleidung auf Kleiderstange
Die Regale sind voll, die Preise klein: Da nimmt man schon mal ein oder zwei Shirts mehr mit. Die Frage, wer die Kleidung unter welchen Bedingungen hergestellt hat, rückt da schnell in den Hintergrund.

Der Preis für den gelebten Fast-Fashion-Luxus ist hoch. Und wird von den Menschen gezahlt, die die Wegwerf-Textilien herstellen. Kinderarbeit, menschenunwürdige, oft gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen und existenzbedrohende Hungerlöhne sind die Konsequenz der hemmungslosen Konsumkultur. Auch für die Umwelt kann das nicht folgenlos bleiben: Giftige Färbemittel landen in den Meeren, lange Transportwege verursachen einen immensen C02-Ausstoß – und weniger als 1 % der pro Jahr hergestellten 100 Milliarden Kleidungsstücke kann tatsächlich recycelt werden (Quelle: Greenpeace).

Doch die Stimmen der Konsumkritik werden lauter – und es werden immer mehr. Menschen mit minimalistischen, ökologischen Lebensansätzen stellen sich dem gedankenlosen Überkosnum entgegen. Trends wie die Capsule Wardrobe, Tiny Houses und Zero Waste zeigen, dass weniger auch mehr sein kann. Spätestens die Fridays-for-Future-Bewegung sagt es auch der Politik und den Großkonzernen deutlich ins Gesicht: Etwas muss sich ändern – und zwar schnell. Als Reaktion auf das wachsende ökologische Bewusstsein innerhalb der Gesellschaft hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nun ein staatliches Gütesiegel eingeführt, das nachhaltig produzierte Textilien deutlich kennzeichnen soll – die Rede ist vom Grünen Knopf.

Als Hersteller langlebiger Qualitätstextilien Made in Germany sind Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung für uns eine Herzenssache – Grund genug, uns das Siegel, seine Aussagekraft und seine Grenzen einmal genauer anzusehen.

Grüner Knopf: Diese Kriterien müssen Produkte und Unternehmen erfüllen

Für den Erhalt des Zertifikats müssen Anforderungen aus zwei Bereichen erfüllt sein:

  1. unternehmensbezogene Anforderungen
  2. produktbezogene Anforderungen

Die unternehmensbezogenen Kriterien regeln grundsätzliche Sorgfaltspflichten, denen der Textilhersteller gerecht werden muss. Hier sind zum Beispiel enthalten:

Existenz einer Grundsatzerklärung

Mit der Grundsatzerklärung zur eigenen Geschäftstätigkeit verpflichtet sich das Unternehmen zu ethischen Geschäfts- und Einkaufspraktiken nach OECD-Empfehlungen sowie entsprechender Sorgfalts- und Präventionsarbeit. Sie wird auf höchster Unternehmensebene verabschiedet, verantwortlich für die Inhalte ist die Geschäftsführung.

Für die Überwachung der Einhaltung bzw. Umsetzung der Grunderklärung sind im Unternehmen Personen beauftragt. Die Erklärung ist für alle Mitarbeiter öffentlich zugänglich, muss regelmäßig überprüft und ggf. überarbeitet werden.

Risikoerkennung und -priorisierung

Potenzielle Gefahren, die sich bei Konfektionierung und mindestens einem vorgelagerten Herstellungsschritt in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt ergeben, müssen analysiert und priorisiert werden. Bei der Identifizierung von Risikopotenzialen und ihren tatsächlichen Auswirkungen muss das Unternehmen externe Fachexpertise zurate ziehen. Dieser Vorgang ist mindestens alle zwei Jahre zu wiederholen.

Ergreifen konkreter wirksamer Maßnahmen

Die durch die Risikoerkennung erlangten Erkenntnisse fließen in die Gestaltung unternehmensinterner Abläufe ein. Der Hersteller legt in diesen Bereichen Mindestanforderungen als Vorgaben für Betrieb und Lieferkette fest und kommuniziert diese in Form von verbindlichen Verträgen an Produzenten/Lieferanten. Zur Durchsetzung und regelmäßigen Überprüfung ist ein Aufsichtsverfahren erforderlich. Hierfür werden hinreichend personelle und finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt.

Transparenz

Das Engagement des Unternehmens im Bereich Soziales und Umwelt, bezüglich Lieferketten und Managementsysteme werden mindestens jährlich öffentlich und verständlich kommuniziert.

Beschwerdemanagmenent

Für den Umgang mit Beschwerden gibt es formal festgelegte, transparente, zugängliche und faire Prozesse, Kontaktpersonen und Zeitpläne.

Fuß einer Nähmaschine auf schwarzem Stoff
Mit der Tragödie von Rana Plaza (2013) erlangten die verheerenden Zustände in den Textilfabriken von Bangladesch erstmals große mediale Aufmerksamkeit. Wie viel sich seitdem geändert hat, ist für den Verbraucher nur schwer ersichtlich. Der Grüne Knopf soll das ändern.

Der zweite Anforderungsbereich der Zertifizierung gibt produktbezogene Kriterien vor und befasst sich mit konkreten Umwelt- /Sozialkriterien bei der Textilherstellung.

Sozialkriterien (Auswahl)

  • Allen Arbeiter*innen wird Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen zugestanden.
  • Für beide Parteien verständliche Arbeitsverträge legen die verbindlichen Anforderungen des Arbeitsverhältnisses fest.
  • Arbeitszeiten sind konkret geregelt, es gilt ein gesetzlicher Mindestlohn nach Industriestandard.
  • Kinderarbeit und Zwangsarbeit sind verboten.
  • Den nationalen Gesetzgebungen zum Mutter- & Gesundheitsschutz ist zu folgen.
  • Für Angestellte von Subunternehmen gelten dieselben Regelungen.
  • Das Unternehmen hat für eine gesunde, sichere und hygienische Arbeitsumgebung zu sorgen. Dies schließt unter anderem auch konkrete Brandschutzmaßnahmen ein.

Umweltkriterien (Auswahl)

  • Um Abwasser- und Luftverschmutzung zu unterbinden, müssen die Grenzwerte der nationalen Gesetzgebung jederzeit eingehalten werden. Die entsprechenden Emissionswerte sind kontinuierlich zu überwachen.
  • Der Einsatz gesundheits- und besonders besorgniserregender Stoffe ist ohne Angabe besonderer Beweggründe untersagt.
  • Beim Einsatz von Naturfasern, die nicht aus Ökolandbau stammen, sind diese stichprobenartig auf gefährliche Pestizide zu überprüfen.

Alle Kriterien des Grünen Knopfs im Überblick »

Edler Vorsatz auf wackeligen Füßen: Kritik am Grünen Knopf

Zuerst sei gesagt: Jeder Schritt, der auf die Missstände innerhalb der Textilindustrie hinweist und dafür sorgt, dass das Thema in der Gesellschaft Beachtung findet, ist ein Schritt in die richtige Richtung, der unbedingt wertgeschätzt werden muss. Die Kriterien für den Erhalt des Zertifikats klingen grundsätzlich sinnhaft – und sind es auch. Dennoch bleiben nach dem Lesen Fragen offen: Wie wirken sich zum Beispiel die für die Endproduktion geltenden Kriterien auf die gesamte Lieferkette aus?. Aktuell werden nur Färbung und Konfektionierung berücksichtigt. Rohstoffgewinnung und -verarbeitung sind beim Grünen Knopf aktuell (noch) kein Thema.

Eine große Schwachstelle der aufgeführten Sozialkriterien ist die Bezugnahme auf nationale Standards und Gesetzeslagen. Beispielhaft kann hier die Zahlung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns genannt werden. In Bangladesch ist dieser aber zum Beispiel so niedrig, dass er nicht zum Überleben reicht. Und auch wenn es in den meisten Ländern bereits gesetzlich verankerten Mutterschutz gibt, muss man sich diesen finanziell eben auch leisten können.

Potenziell problematisch sind auch diverse Ausnahmeregelungen innerhalb der Vorgaben. So können beispielsweise für Stoffe zum Färben Ausnahmeregelungen hinsichtlich der ökologischen Risikoeinschätzung und der damit verbundenen Konsequenzen im Arbeitsablauf festgelegt werden.

Unser Fazit: Der Grüne Knopf leistet einen wichtigen Beitrag in Sachen Bewusstseinsbildung. In der Praxis erscheint die Erfüllung der Vorgaben an einigen Punkten aber nur schwer kontrollierbar, da die überwachende Instanz in der täglichen Praxis doch meist das Unternehmen selbst ist. Auf Verbraucherseite kann das schnell Misstrauen schüren – und so die Glaubwürdigkeit des Siegels schädigen.

Mit der Etablierung freiwilliger Zertifikate darf auf staatlicher Seite längst nicht alles getan sein. Um Mensch und Umwelt zukünftig bestmöglich zu schützen, sind wirksame gesetzliche Regelungen nach wie vor der wichtigste Schritt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit in der Textilwelt. Und nicht zuletzt haben Verbraucher*innen es mit ihrem Konsumverhalten auch selbst in der Hand, wie die Textilindustrie sich in den nächsten Jahren entwickelt.