100 Jahre Bauhaus: Ein Jahrhundert Stoff für Ideen

Bauhaus

Das einhundertjährige Jubiläum des Bauhauses ist auch für uns als Industrienäherei ein Grund zum Feiern. Denn die Fachschule für Architektur, Kunst und Design gilt weltweit als Symbol für Kreativität, Experimentierfreude und Innovationskraft – all das, worin auch wir unseren Auftrag sehen.

Wir haben uns auf eine kleine Reise durch die Geschichte des Bauhauses begeben, um zu ergründen, wie eng die Geburtsstätte der Klassischen Moderne mit der Textilindustrie verwoben ist – und auf welche Weise diese Bande auch ihre Gegenwart beeinflussen.

Von der Interdisziplinarität der Architektur: Intention und Leitgedanken des Bauhauses

Architektur nicht isoliert, sondern im Kontext anderer Künste zu betrachten – das ist, was Walter Gropius zum Grundgedanken und Auftrag des Bauhauses erklärte. Der Architekt wird somit als Erschaffer eines Gesamtkunstwerks begriffen, das alle Künste in sich vereint. Im Bauen gipfelt die schöpferische Tätigkeit, der Künstler ist immer auch ein Handwerker – und kommt folglich nicht ohne fundierte Kenntnisse zu Naturlehre, Raumlehre, Werkzeuglehre, Konstruktionslehre und Materialkunde aus.

Als Folge dieser Philosophie befasste man sich in den Werkstätten des Bauhauses nicht nur mit der Architektur selbst, sondern machte auch Fotografie, Töpferei, Tischlerei, Malerei, Bühnenkunst und das Weben zum Lehrgegenstand – ein interdisziplinärer und avantgardistischer Ansatz, der vor allem darauf abzielte, eine Architektur und Formensprache zu entwickeln, die ihrer Zeit kompromisslos gerecht wird.

Stoff macht Schule: Das Bauhaus und seine Textilwerkstatt

Die textile Ausstattung eines Objekts zählte in der Weimarer Republik zu den Aufgaben des Architekten, weshalb Textillehre auch im Bauhaus fester Bestandteil der Ausbildung war. Sowohl in Weimar als auch in Dessau gehörte die Weberei zu den erfolgreichsten Werkstätten der Schule. Ausgebildet wurden dort in den Jahren von 1919 bis 1933 vor allem Frauen. Die Lehrzeit betrug acht Semester, anfangs lag der Fokus vor allem auf einer experimentellen Auseinandersetzung mit Form, Farbe und Materie. Neben dem Weben erlernten die Bauhäuslerinnen auch andere Techniken wie Häkeln, Sticken, Applizieren und Knüpfen.

Ab 1931 konzentrierte sich die Ausbildung verstärkt auf eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie – damit rückten Aspekte der Wirtschaftlichkeit und Funktionalität stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Kurz vor der Auflösung des Bauhauses erschienen drei Bücher mit Textilmustern, zu deren praktischer Anwendung es aufgrund der Zwangsschließung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 aber leider nie kam.

Dem Werdegang der Lehre folgend, entstanden als Produkte der Weberei zuerst vor allem stark künstlerisch ausgerichtete Experimente in Material und Form, bei denen funktionalen Aspekten noch keine zentrale Bedeutung zukam. In späteren Jahren wurden dann aber auch zahlreiche textile Innovationen in Form von Teppichen, Wand- und Türbespannungen, Möbelbezügen, Vorhängen und Meterware entwickelt. Auch mit Kunstfasern und Ripsbindung experimentierte man im Bauhaus, um Stoffe zugunsten ihrer Abrieb- und Reißfestigkeit zu optimieren.

Unter den Teppich gekehrt: Frauen im Bauhaus

Webstuhl
Die Textilwerkstatt mit ihrer Weberei galt im Bauhaus als „Frauenklasse“. Wer woanders schöpferisch tätig sein wollte, hatte es nicht leicht.

Wenn man über die Weberei des Bauhauses spricht, dann spricht man vor allem über seine Frauen. Denn obgleich die progressive Philosophie der Bildungsstätte Frauen zur aktiven Mitgestaltung aufforderte, wurde ihre schöpferische Teilhabe in der Praxis stark beschränkt.

In den Textilwerkstätten agierten sie zwar hochproduktiv, aber immer im Schatten ihrer in anderen Bereichen tätigen männlichen Kollegen – was sie jedoch keinesfalls davon abhielt, sich zu wegweisenden Künstlerinnen der Moderne zu entwickeln.

Einzige Meisterin des Bauhauses war Gunta Stölzl. Als weitere Protagonistinnen sind zum Beispiel Anni Albers, Ida Kerkovius, Elsa Thiemann und die in Chemnitz geborene Marianne Brandt zu nennen, die es allen Widrigkeiten zum Trotz in die von Männern dominierte Metallklasse schaffte – und dort mit dem Tee-Extraktkännchen MT 49 aus Messingblech und Ebenholz eine der bedeutendsten Bauhaus-Arbeiten entwarf.

Eng verwoben: Bauhaus und Textilindustrie im Wandel der Zeit

Bauhaus-Archiv Berlin
Der reiche Bestand des Bauhaus-Archivs in Berlin umfasst Werke aller Gattungen. Die Architektur des Gebäudes ist eine Kombination aus Entwürfen von Gropius und seinem langjährigen Mitarbeiter Alexander Cvijanovic.

Die Welt der Textilien ist nicht weniger Teil des Bauhauses als es Architektur und Möbeldesign sind – und das nicht nur, weil die Bauhäusler Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich einen Industriebau für die Vereinigte Seidenwebereien AG in Krefeld und Wohnhäuser für ihre Besitzer entwarfen. Aus der florierenden Textilindustrie Krefelds folgte ein großer Bedarf an Gestaltern für die Produktion – kaum verwunderlich also, dass insgesamt mehr als 30 Absolventen und Lehrer des Bauhauses zeitweilig in Krefeld lebten, lernten oder wirkten und die Betriebe der Stadt maßgeblich prägten.

Auch aufgrund ihrer zahlreichen Ausbildungs- und Forschungsinstitute war Krefeld beliebt bei den Bauhäuslern. An den Textilfachschulen lernten sie vor allem die technischen Grundlagen des Webens und Färbens kennen. Nicht zuletzt war es aber auch die avantgardistische und hinsichtlich Architektur, Design und Kunst offene Ausrichtung von Krefeld, die die Bauhäusler anzog.

Die Leistung des Bauhauses ist in der Textilindustrie nach wie vor deutlich spürbar. Das von der Akademie geforderte Besinnen auf traditionelles (Kunst-)Handwerk feiert heute insbesondere in der Textilwelt eine Renaissance – und liefert so einen Kontrast zur beliebigen und kurzlebigen Massenproduktion.

Der erfinderische, funktions- und bedarfsorientierte Umgang mit Materialien als Teil der Bauhaus-Philosophie findet in der Textilindustrie der Gegenwart ebenfalls große Beachtung. Als Antwort auf die immer lauter gestellte Frage nach mehr Nachhaltigkeit, ökologischem Bewusstsein und einem achtsamen Umgang mit Rohstoffen liefert er Impulse, bringt spannende Experimente hervor und schenkt der Industrie zukunftsfähige Techniken und Materialien.

Für uns als Industrienäherei bedeutet Bauhaus, die Symbiose aus Tradition und Innovation in aller Konsequenz zu leben. Unsere fachliche Erfahrung lenken wir deshalb immer wieder in Bahnen, in denen sie uns als Impulsgeber von Nutzen sein kann. Auf diese Weise entstehen Textilien, die eine funktionale Lücke schließen und sich harmonisch in den aktuellen Zeitgeist einfügen.

Unserem Handwerk treu, aber niemals stehen zu bleiben – darin sehen wir unseren wichtigsten Auftrag.

Unser Kultur-Tipp zum Bauhaus-Jubiläum

Die Kunstsammlungen Chemnitz geben vom 5. Mai bis 4. August einen besonderen Einblick in das lange nur nachlässig gewürdigte Wirken von Bauhauskünstlerinnen wie Otti Berger, Benita Koch-Otte und Marianne Brandt. Die Ausstellung „Bauhaus. Textil und Grafik“ zeigt vor allem großformatige Wandbehänge, aber auch Fotografien und ein Musterbuch für Bauhaustapeten.

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