Von der Fischgräte zur Overlock: Eine kleine Geschichte der Nähmaschine (Teil 1)

Alte Nähmaschinen

Für uns als Industrienäherei und Nähservice sind sie das wichtigste Werkzeug – leistungsstarke Nähmaschinen ermöglichen uns, jeden Kundenauftrag binnen kürzester Zeit in höchster Qualität umzusetzen. Bis die Nähmaschine aber so viel leisten konnte wie heute, war es ein langer Weg voller Ideen und Innovationen. Die wichtigsten Meilen- und Stolpersteine rund um die Geschichte der Nähmaschine haben wir uns einmal genauer angesehen.

Von Gräten und Knochen: Die Anfänge des Nähens

Junger Rehbock mit Geweih
Kurios, aber nicht unüblich: die Verwendung tierischer Hörner als Nadeln, in denen sogar schon Öhre eingearbeitet wurden.

Lange bevor die erste Nähmaschine erfunden wurde, hatten Menschen das Bedürfnis, sich in schützende Kleider zu hüllen, die vor Kälte, Regen und Sonne schützten. Als Werkzeug für die Herstellung dieser Kleidungsstücke aus gegerbtem Tierleder dienten Gräten, Hörner oder spitze Knochen – die ersten Nadeln der Menschheit. Verbunden wurden die einzelnen Komponenten mithilfe von Sehnen oder kleinen Knochen.

Lange Zeit blieben tierische Materialien die erste und einzige Wahl für die Herstellung von Kleidung. Die Erfindung metallischer Nadeln im 14. Jahrhundert war deshalb eine erste kleine Revolution für die Welt des Nähens.

Aller Anfang ist schwer: Erste Experimente im Nähmaschinenbau

Die Entwicklung der Spinnmaschine (Spinning Jenny, 1767) und des mechanischen Webstuhls (Power Loom, 1784) sind wichtige Meilensteine der Geschichte industrieller Textilerzeugung. Im selben Zeitraum kam auch erstmals die Frage auf, ob es möglich war, Nähnadeln durch eine Maschine zu bewegen und Näharbeiten so mechanisch zu steuern.

Ein wichtiger Pionier auf dem Gebiet der Nähmaschinenentwicklung war der in England lebende Deutsche Charles Frederick Wiesenthal, der ab 1755 erste Experimente zur mechanischen Herstellung einer Naht durchführte. Seine Idee, für diesen Prozess eine Nadel mit zwei Spitzen und Öhr in der Mitte einzusetzen, wurde später von vielen Entwicklern übernommen und findet in der Stickindustrie auch heute noch Anwendung. Eine voll funktionsfähige Nähmaschine stellte er aber nie her.

Schneider bei der Arbeit
Stich um Stich: Bis weit ins 19. Jahrhundert nähte der Schneider seine Kleider von Hand. Ein geübter Meister seiner Zunft schaffte gut und gern 30 Stiche pro Minute.

So wird ein Schuh draus: Die ersten Nähmaschinen

Es war der Engländer Thomas Saint, der 1790 die erste arbeitsfähige Nähmaschine entwickelte – allerdings nicht für Schneider, sondern als Hilfsmittel für Schuhmacher. Die Maschine wurde aus Holz gefertigt und konnte ausschließlich einen Kettenstich nähen.

Auch in Deutschland arbeiteten die Entwickler auf Hochtouren: Der Mützenfabrikant Balthasar Krems aus dem Rheinland konstruierte um 1800 eine erste Kettenstichmaschine mit gesteuertem Greiferhaken und Öhr an der Spitze. Aber auch der Einsatzbereich dieser Maschine war stark begrenzt, denn aufgrund der speziellen Konstruktion eignete sie sich lediglich für die Fertigung von Jakobinermützen.

Und dennoch: Das jüngste von Krems entwickelte Modell war mit 300 bis 350 Stichen schon deutlich schneller als jeder Schneider.

Eine erste universeller einsetzbare Nähmaschine entwickelte der Franzose Barthélemy Thimonnier im Jahr 1829/30. Mit seinem patentierten Grundmodell namens Couseuse (später Cousobrodeur) ging der Fabrikant an den Markt – zuerst in Paris, später auch in Manchester. Die Sehnsucht nach seiner Familie in Amplepluis war aber beide Male so groß, dass er nach kurzer Zeit völlig überstürzt den Heimweg antrat. Die traurige Folge: Mit den rasanten Entwicklungen seiner Zeit konnte er auf Dauer nicht mithalten.

Der Kufsteiner Joseph Madersperger tüftelte in jener Zeit ebenfalls akribisch an der Weiterentwicklung der Nähmaschine – und bereicherte sie um die noch heute bekannte schiffchenähnliche Vorrichtung, mit deren Hilfe sich ein Doppelstich erzeugen lässt. Der große Erfolg seiner Erfindungen blieb allerdings trotz dieser beachtlichen Innovation aus – er verstarb 1850 im Wiener Armenhaus.

Wie ihm erging es auch dem Amerikaner John James Greenough, der sogar ein Patent für seine zur Lederverarbeitung gedachten Maschine erhielt – wirtschaftlich aber dennoch erfolglos blieb.

Not macht erfinderisch: Elias Howe und der Nähmaschinenstreit

Der verarmte Bostoner Mechaniker Elias Howe konnte die Welt mit seiner Nähmaschine endgültig überzeugen – wenn auch mit Hindernissen: Im Jahr 1846 entwickelte er ein Modell, das es in Sachen Geschwindigkeit mit vier bis sechs Näherinnen aufnehmen konnte. In Amerika fand Howe aufgrund des hohen Preises von 300 Dollar pro Maschine aber keine Investoren, weshalb er mit seiner Familie für zwei Jahre nach England reiste und dort vergeblich) sein Glück versuchte.

Bei seiner Rückkehr kam die böse Überraschung: Ein anderer Bostoner Mechaniker namens Isaac Merritt Singer hatte eine ganz ähnliche Nähmaschine entwickelt, die man für nur 100 Dollar kaufen konnte. Es folgte ein langwieriger Rechtsstreit, bei dem der Richter schließlich entschied, dass Singer seinen Gewinn mit Howe teilen und ihm bis zu seinem Tod wöchentlich 4.000 Dollar Patentgebühren zahlen musste.

Alte Singer-Nähmaschine
Alles nur geklaut? Die erste Nähmaschine aus dem Hause Singer nutzte ein Bauteil Howes.

Mit den ersten Modellen von Singer wurde die fabrikmäßige Herstellung der Nähmaschine eingeläutet. Kontinuierliche Anpassungen und Weiterentwicklungen sowie die Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern brachten den gewünschten Absatz und ebneten den Weg für einen Erfolg, der Jahrhunderte andauern sollte.

Nicht nur Singer profitierte in diesen Tagen vom Nähmaschinen-Boom: Während der anfänglichen Blütezeit waren allein in Deutschland ungefähr 200 verschiedene Nähmaschinen-Fabrikate auf dem Markt.

Es geht nahtlos weiter: Im zweiten Teil unserer kleinen Nähmaschinen-Historie erfahren Sie, welche Hürden die Nähmaschine während der Kriege des 20. Jahrhunderts überwinden musste und wie es ihr gelang, den Weg von der Fabrik ins Wohnzimmer zu finden.